Eine Sommerschule
Die Idee stammt von Selvarajan Yesudian und wurde von unserer Schule fortgesetzt, in diesem Jahr zum 35. Mal. Während einer Woche pflegen wir – noch intensiver als sonst – den Umgang mit der Yogalehre. Bei dieser Gelegenheit spiegeln sich die Ereignisse und Themen des täglichen Lebens im Üben und Studieren der Lehre wieder, mancherlei Beschwerden lösen sich auf oder werden auf den Weg zur Lösung gebracht.
Die Teilnehmer, in diesem Jahr wieder über dreißig, sind meist langjährig Übende und kommen aus Stuttgart und Umgebung, sind aber auch eigens vom Bodensee, aus Nord- und Westdeutschland, sogar aus Südfrankreich angereist. Alle nehmen lebhaft am Unterricht und dessen Gestaltung teil. Mehr als die Hälfte sind selbst Yogalehrer, ihre aktuellen Erfahrungen und Probleme sind wichtiger Gegenstand der Frage- und Antwortstunde.
Diese Unterrichtsstunde wird auch stark belebt durch das unterschiedliche Interesse der verschiedenen vertretenen Berufsgruppen. Lehrer, Sozialarbeiter, Ingenieure, Computerfachleute, Wissenschaftler, Juristen, Physiotherapeuten, Künstler und Hausfrauen -männer sehen im zunehmenden Maß einen Zusammenhang ihrer praktischen Arbeit mit ihrem spirituellen Hintergrund.
Den anspruchsvollen Erwartungen der Teilnehmer stand ein ebenso anspruchsvolles Programm der Schule gegenüber. Wir haben ins Volle gegriffen und eine Kernfrage des Yoga zum Hauptthema gemacht: „Der Yoga ist – wodurch wird er behindert“. Oder griffiger: „Gegen die Behinderung der Selbstheilkraft. Beispiele aus der Yogapraxis nach Yesudian“. Jedem stand ein Ausdruck der Internetseiten unserer Schule (yoga-direkt.de) mit den Titeln „prāṇa“ und „prāṇa Beispiele“ zur Verfügung. Gleich zu Beginn wurde auf zweierlei hingewiesen: dass sich die in Rede stehende Heilkraft auf alle Lebensbereiche bezieht und dass, wenn es sich um medizinische Fragen handelt, der Yoga kein Ersatz für ärztliche Hilfe ist.
Eine kleine Anzahl von möglichen Bereichen wie Körperübungen, Vertrauen – Selbstvertrauen, Arbeit – der Arbeitsmarkt, „Wissen“, waren genannt worden und fanden reichlich Ergänzung aus dem Kreis der Übenden. Heilungsbedarf und – bereitschaft gibt es schließlich überall.
Was allerdings, zumindest in alltagsbezogener praktischer Hinsicht, für manche nicht ganz präsent war, summierte sich im eigentlichen Thema der Sommerschule (und in der eigentlichen These des Yoga), nämlich: Heilkraft wird nicht produziert, sondern ihre Behinderungen werden geschwächt. Ein gewisser Mangel an vertieften Kenntnissen der Yoga-Sūtras des Patanjali trat dabei zu Tage. Der Lehrer hatte anhand von Beispielen Gelegenheit auf Antworten in den Sūtras hinzuweisen, wo es sich um scheinbar ganz andere Zusammenhänge handelt.
Aus diesem Grund wurde die Aufmerksamkeit auf den Modellcharakter der Parallele zwischen der Gleichgewichtsfunktion im zweiten Sūtra des zweiten Kapitels (samādhi-bhāvanā-arthaḥ kleśa-tanūkaraṇa-arthaś ca) und dem Gleichgewichtszustand zwischen dem dritten und vierten Sūtra des ersten Kapitels (tadá draṣṭuḥ svarūpe`vasthānam/vṛtti-sārūpyam itaratra) gelenkt, wobei das wirksame Prinzip als Muster auch für andere Probleme sichtbar wird.
Bei diesen Themen stellte sich erneut heraus, dass es an entscheidenden Stellen keinen Ersatz für Sanskritbegriffe gibt, dass ihre Aussprache nicht nur der Bezeichnung, sondern auch der Wirkung dient, dass, wenn der Umgang mit dem Personalpronomen „ich“ nicht geklärt ist, der ganze Yoga schief hängt. Die Yogalehrerin und Verlegerin Jutta Zimmermann hat sich dieses Problems besonders angenommen. Sie hatte Gelegenheit in ihrem und im laufenden Unterricht auf Korrektheit und richtige Aussprache der Sanskritworte hinzuweisen. An Ort und Stelle hat es sich gezeigt: das rhythmische Sprechen der Sanskritworte bewirkt inneren Rhythmus, auch der Organe. Die Schönheit und Leichtigkeit der Sprache läßt sich schon mit dem Intonieren weniger Worte erleben.
Unsere Sommerschule findet bei den freundlichen Gastgebern einer sehr großen, weiträumigen Anlage – mit Schulen, Seminarstätten usw. – in der Nähe von Tübingen, direkt am Rande des Schönbuchs statt.
Zum Tagesablauf der Veranstaltung wäre noch zu sagen, dass wir um sechs Uhr mit einer Stunde Meditation beginnen, dann eine Stunde āsanas üben. Nach dem Frühstück folgt der Unterricht bzw. die Frage- und Antwortstunde. Der eineinhalbstündige Spaziergang durch die Wälder des Schönbuchs schließt den Vormittag ab. Der Nachmittag beginnt mit einer „Offenen Stunde“, die von den teilnehmenden Lehrern gestaltet wird. Dann üben wir, unserer Tradition gemäß, Yoga-Nidra. Am Abend wird rezitiert, dieses Mal die Iśāvāsya Upanisad, in Deutsch und Sanskrit. Offiziell klingt der Abend aus mit einer Meditation und setzt sich, mehr privat, noch ein Stündchen am Kaminfeuer fort.
Yoga Nidrā – Der Heilschlaf der Yogis
Zwei Übungen von jeweils 30 Min