Das Wunder der Verborgenen Sprache
Übersetzung aus der Mai-Ausgabe (1992) der englischen Zeitschrift YOGA. & HEALTH Original-Titel: The miracle of The hidden language.
Svami Gopalananda erklärt hier, wie er nach einem Sturz mit schweren Verletzungen durch die Übung der Verborgenen Sprache, in den āsanas, der besinnlichen Einstellung und der Selbstbefragung Heilung gefunden hat:
Es war vor ein paar Jahren, als ich von einem sechs Meter hohen Gerüst stürzte. Ich erinnere mich nicht mehr genau daran, was ich gedacht habe, bevor ich auf dem Boden aufschlug. Mein Leben zog nicht an meinen Augen vorbei, wie es vielleicht hätte sein sollen. Aber ich erinnere mich an den Versuch, mich auf den Aufprall dadurch vorzubereiten, daß ich mich in der Luft so drehte und streckte, daß ich nicht auf dem flachen Rücken landen würde. Ich muß wohl gedacht haben, etwas unternehmen zu können, wenn ich sehen würde, was auf mich zukommt. Diese Idee wäre weit hilfreicher gewesen, wenn sie etwas früher Anwendung gefunden hätte.
In diesem Fall hat meine Aktion die resultierende Verletzung nur verschlimmert. Aber ich erinnere mich an einen dominierenden Gedanken im Moment des Aufschlags: Wenn ich in Bewegung bleibe, bin ich in Ordnung. Ich bleibe einfach in Bewegung und bin in Ordnung. Seit damals bin ich zu der Einsicht gekommen, daß dieser Gedanke eine stille, treibende Kraft in meinem Leben war, solange ich zurückdenken kann. Wie auch immer, er war unzutreffend. Nachdem ich gelandet war, konnte ich mich überhaupt nicht bewegen.
Nach den gegebenen Umständen des Unfalls waren die Verletzungen einigermaßen voraussagbar und extrem schmerzhaft: Eine Kompressionsfraktur im tiefen Rücken und ein schlimm zertrümmerter linker Arm. Die mechanischen Voraussetzungen für die Heilung beanspruchten zweieinhalb Wochen in einem Krankenhaus sowie die eingehende Hilfe eines orthopädischen Chirurgen. Rechtzeitig lernte ich zu verstehen, daß das nur der erste, einleitende Schritt des langwierigen und schwierigen Prozesses war, gesund zu werden. Der Prozeß betraf mein Gemüt und meine Gefühle, mein Gedächtnis, meine Gedanken und vor allem den Willen, wieder gesund zu werden. Durch all dieses Geschehen betrat ich den psychologischen Bereich des Heilens und kam nahe an den spirituellen heran.
Die psychologische Betroffenheit durch Verletzungen und Krankheit kann sehr intensiv sein. Im Bruchteil einer Sekunde kann eine Verletzung für immer die Vorstellung ändern, die wir von uns haben als gesunde, gut arbeitende und fähige Mitglieder des Ganzen. Die Verletzung verursachte Abtrennung und Abgrenzung in meinem Gemüt, weil ich nicht mehr in einer Weise arbeiten konnte, von der ich glaubte, daß sie für mich richtig war, nämlich kraftvoll und unabhängig. Dieser Glaube stellte einen großen Teil dessen dar, wie ich mich selbst sah, besonders in bezug auf mein Selbstwertgefühl. Mein Identitätsbewusstsein war in überraschend hohem Maße körperbezogen. Wer bin ich, wenn ich unfähig bin zu arbeiten? Wer bin ich, wenn ich unfähig bin die āsanas mit Zuversicht und Kraft auszuführen? Wer bin ich, wenn ich nun dauernd in Schmerzen bin? Bin ich nun abhängig und schwach (und deshalb weniger wert)? Diese Fragen waren schwer zu beantworten.
Das erste Stadium von Selbstmitleid und Gewissensbissen kam im Krankenhaus am Sonntagnachmittag über mich, drei Tage nach der Operation. Bis dahin war ich ein „guter“ Patient, still leidend und schrecklich freundlich. „Schwester, wenn es nicht zu viel Mühe macht, würden Sie denken, Sie könnten irgend etwas finden, das meine gräßlichen Schmerzen lindern könnte? Bitte keine Eile, ich weiß, Sie haben sehr viel zu tun“.
Am Sonntag jedoch gab ich die Maskerade auf und begann zu zeigen, wie ich mich wirklich fühlte, und wurde folglich ziemlich widerwärtig. Die diensthabende Schwester reagierte mit spürbarer Gleichgültigkeit, dem bald ein Kräftemessen folgte, oder zumindest habe ich es so gesehen. Sie beachtet mich nicht, sagte ich mir. Sie ist kalt und gleichgültig, außerdem äußerst mitleidlos. Um meine anfängliche Meinung zu untermauern, sagte ich mir das immer wieder. ‚Ich fühle mich furchtbar‘, das war meine abschließende Meinung. Als die Schwester endlich mit ein paar Aspirin-Tabletten wieder den Weg zu meinem Bett fand, sah ich sie flüchtig an, um meinen Verdacht zu bestätigen, und begann plötzlich zu weinen. „Sehen Sie? Sehen Sie, was Hochmut anrichten kann? Das ist es, was Hochmut anrichtet.“ Sie sagte kein Wort. Sie nahm nur schnell meine Hand und schaute mich mit sanften und freundlichen Augen an. Nach einigen Minuten war auch ich still und friedlich.
Heute blicke ich zurück und erkenne, daß meine Heilung in dem Moment begann, als der Hochmut aufhörte, gegen die Tatsachen Krieg zu führen, und statt dessen Hinnahme den Weg für Gnade sowie die Heilkraft der Güte und des ehrlichen Mitleides öffnete. Mitleid ist Hinnahme. Für mich bedeutet Hinnahme meinen Zustand hinzunehmen und von dorther mitzuwirken. Wenn das Gemüt diese Haltung annimmt, wird das Geheimnis des Lebens ebenso wieder sichtbar, wie die innewohnende Güte der Menschen. Das vom Ego hervorgerufene Gefühl der Trennung verliert seine Kraft.
Zwei Monate nach meinem Unfall begann ich einen dreiwöchigen Intensivkurs über die Verborgene Sprache im Hatha-Yoga. Der Kurs wurde angeboten im Yasodhara Ashram in British Columbia, Kanada. Wie der Name des Kurses sagt, bedeutete das eine sehr intensive Übungszeit. Bei meinem damaligen körperlichen Zustand erforderte das Aufstehen aus dem Sitzen die Konzentration und Anstrengung, die normalerweise für Salamba Sirshasana, den Kopfstand, nötig ist. Meine tägliche Erfahrung der unbarmherzigen Schmerzen führte mich zu dem Schluß, nicht einmal erwägen zu können, der Aufgabe gewachsen zu sein. Aber die Leiterin des Programmes sah das ganz anders. „Stell es dir vor„, sagte sie, „Gebrauche die Kraft der Vorstellung, um dich in den Haltungen zu sehen, die du nicht einnehmen kannst und schaue zu, was dein Gemüt damit anfängt„. Das tat ich, und das Ergebnis war erstaunlich. Ich übte viel in meiner Vorstellung während der ersten Zeit des Kurses, denn körperlich konnte ich 80 Prozent der Haltungen nicht einnehmen. Durch die Vorstellung der Übungen war ich in der Lage, direkt den Bereich meines Gemüts zu erreichen, der durch die Verborgene Sprache und durch meine besinnliche Einstellung ins Spiel gebracht wurde. Von dort auftauchende Bilder begannen mich zu unterrichten und zu heilen.
In dieser Übungsweise liegt eine Art freundlicher Güte und Mitleidigkeit, die das normale menschliche Verständnis der Begriffe: keine Beschuldigungen, keine Verweise, keine Verurteilung, kein „richtiger“ Weg oder „falscher“ Weg, weit überschreitet. Die Methode besteht lediglich darin, Tatsachen in der Sprache meiner eigenen Symbole und gemäß meiner Intelligenz darzustellen. Ich kenne keine andere so respektvolle Methode der Unterrichtung.
Sanskrit 1 – Sprechen Sie Sanskrit?
Noch nicht? Als Kenner werden Sie lächeln: Sanskrit spricht man kaum, oder nur in Indien. Brauchen Sie trotzdem Sanskrit? Männer und Frauen als Wissenschaftler, Mathematiker, Ärzte, Ingenieure, Unternehmer und Unternehmerinnen brauchen zunehmend Zugang zu einer weltweit versändlichen Ordnung.