Das Gegenteil ist auch richtig
Wer einen Standpunkt zu vertreten hat, hört das nicht besonders gern. Man hat um seine Meinung gerungen, und nun soll sie nur die Hälfte wert sein?
Die andere Hälfte sei auch richtig, sagt der Lehrer. Vielleicht handelt es sich auch nicht nur um Meinungen, vielleicht geht es um wichtige Geschäfte oder gar um das gesundheitliche Wohlbefinden, welches dann mit Unwohlsein hälftig zu teilen wäre?
Der Versuch mit einem einfachen Mittel, einer Frage, könnte zur Lösung beitragen: Sieht es anders aus, wenn statt vom Gegenteil vom Gegengewicht die Rede wäre? Zumindest hätte man sich vom unmittelbaren Gegenstand des Konflikts und seinem Gegenstück etwas entfernt. Distanz verschafft oft gerechtere Sicht.
Wir sind jetzt ganz nah an der Schnittstelle zur Yogapraxis. Yoga arbeitet niemals vor Ort. Wer in der Lage ist jede Erscheinung, jeden Vorgang, auf der Basis der unumgänglichen Wechselwirkung der Kräfte zu sehen, muss sich nicht mit deren schwer erkennbaren Besonderheiten beschäftigen. Die Formel besteht aus zwei Teilen: einem gemeinsamen Nenner und unendlich vielen Zählern.
Yogaübungen, das gesamte yogische Verständnis, beruhen auf dem Umgang mit dem einen Nenner, der Frage nach dem Selbst, und, als Anlass zur Frage, der Nennung des oder der jeweiligen Zähler.
Es gibt Ausnahmen: Beim Arm- und Beinbruch und bei Zahnkaries macht das keinen Sinn, wenn man deren tieferen Hintergrund einmal außer Acht lässt, aber sonst gilt das Prinzip von Kopf bis Fuß, sowohl innen wie außen.
In einem interessanten Artikel über das Fahrradfahren vom 24. Juli 2004 in den Stuttgarter Nachrichten zitiert die Autorin Bettina Hartmann die deutsche Schriftstellerin Friedl Beutelrock (1889-1958): Gleichgewicht halten ist eben die erfolgreichste Bewegung im Leben. Zitat Ende. Gleichgewicht setzt gegenspielerische Kräfte voraus.
Es ist kein weit ausholender Schritt, das Fahrradbeispiel in allen anderen Lebensvorgängen wieder zu erkennen. Wir können aufzählen: Gelingen solo gibt es so wenig wie Wohlstand solo oder eben auch Wohlbefinden solo.
Von hier aus einen Blick auf die im Yoga stets mitschwingende Lehre des Nikolaus von Kues, seine Coincidentia oppositorum, zu werfen, ist uns ein besonderes Vergnügen. Im gleichen Blickfeld erlauben wir uns den Anlass für das Lächeln des Buddha zu betrachten.
Der Yoga wird nicht das Unbehagen fördern, aber es auch nicht bekämpfen. Der Nenner unseres Lebens kann nicht anders, als sich immer neue Zähler zu suchen. Die Yogis sagen, es ist besser, (leichtes) Unbehagen, (gelinden) Schmerz zu provozieren, zu setzen – und zu wissen, woher er kommt – als zu versuchen sich alles Übel vom Hals zu halten. Zur Freude gehört Leid und zur eigenen Meinung gehört die Meinung des/der Anderen.
Der Versuch mit einem noch einfacheren Mittel wäre die Einsicht: Das Leben besteht aus dem Gegensatzpaar des Kommens und Gehens. Das gilt zumindest so lange, wie mit dem Leben“ – richtigerweise – das persönliche Leben und nicht – ebenso richtig – auch der höchste Gegensatz, das Leben im Köper im Verhältnis zum „Leben an sich“ gemeint ist.

Yoga Nidrā – Der Heilschlaf der Yogis
Zwei Übungen von jeweils 30 Min