Behinderungen – Yoga ist dazu da die Behinderungen zu behindern
„Yoga ist dazu da,
die Behinderungen zu behindern“,
sagte kürzlich der Yogalehrer.
„Es klingt zwar seltsam, ist aber trotzdem richtig. Und zu Ihren Erwartungen im Yoga passt es auch nicht, Frau N.N.“
Lange Zeit, meist viele Jahre, kommen Yogaübende, obwohl ihnen solche Worte bekannt sind, aus ganz anderen Gründen zum Unterricht. Verargen wird ihnen der Lehrer das nicht, er hat ja selbst lange Zeit gebraucht, bis er seiner herkömmlichen Denkrichtung eine andere, die yogische, hinzugesellen konnte.
Die „vielen Jahre“ lassen sich aber recht gut nützen; Yogaübungen sind auch auf der Ebene mitgebrachter Erwartungen sinnvoll. Nur sollten sie nicht mit dem Yoga verwechselt werden. Ausreichend, für den Schritt vom Ausführen der Yogaübungen zum Yoga, ist es dabei nicht, sich mit den Hintergründen der Lehre zu beschäftigen und den Yoga „verstehen“ zu lernen. Es ist der „gelebte“ Yoga, der den Yoga lehrt. Auf Dauer macht es nicht viel Sinn, den Yoga zu üben und Probleme mit anderen Mitteln zu lösen. Dazu muss man natürlich wissen, wofür die Yogalehre zuständig ist.
Jeder Übende kennt den Tag (oder wird ihn noch kennenlernen) der Ernüchterung. Mit viel Hoffnung und Freude hatte man begonnen, etwas so großartiges wie Yoga zu üben – und nun das: „Ich übe und es bringt mir nichts.“ „Nicht das, was ich mir erhofft hatte.“ „Ich will ja gar nichts Besonderes, nur, dass es mir etwas besser geht.“ So etwa spricht der Ernüchterte. Und er hat Recht. Aber der Yoga und der Lehrer haben auch Recht.
Der Yogalehrer hat auch eine Hoffnung, nämlich die, dass die oder der Übende in einer solchen Lage nicht mit sich allein bleibt. Er kennt die Situation und wird nicht versuchen sie „vom Tisch zu wischen“. Ganz im Gegenteil: Jetzt fängt der Yoga an! Vor der „Ernüchterung“ war es gar nicht möglich, die im Yoga (sicher im ganzen Leben) entscheidende Anweisung zu geben und durchzusetzen: Nicht mit den Eigenschaften – es geht mir gut/nicht gut – des Ich, mit dem Ich selbst gehen wir um. Dort ändert sich im Yoga alles.
Alle Eigenschaften des Ich gelten im Yoga als mehr oder weniger starke Betrübnisse – im Verhältnis zur ungetrübten Reinheit des Ich- und heißen kleśa, sie sind in ihren fünf Haupterscheinungsweisen im Yoga-Sūtra II,3 zusammengefasst:
avidyā-asmitā-råga-dveṣa-abhiniveśāḥ kleśāḥ
Nichtwissen, Ich-Bewusstsein, Zuneigung, Abneigung und
der Drang zum Leben (sind) die Kleśas.
Und der Umgang mit ihnen wird im Yoga-Sūtra II,2 beschrieben:
samādhi-bhāvanā-arthaḥ kleśā-tanūkaraṇa-arthaś ca
Er, der kriyā-yoga, hat zum Ziel das Schwächen der Kleśas
und das Herbeiführen des Samādhi.
Es ist selbstverständlich, dass dieses Ziel und der Weg dahin nicht in unserer herkömmlichen Verfassung angenommen werden kann. Das wird aber im Yoga auch nicht erwartet. Das Sūtra tritt uns auch nicht schroff und unvermittelt gegenüber, sondern ist eingebettet in yogaeigene Techniken der Erwägung und Evaluation. Auch die Yogaübungen sind dazu da, Urteilsvermögen darüber zu erlangen, ob man einen solchen Weg gehen will oder nicht.
Schon beim Betrachten der Sūtratexte wird klar, dass uns der Yoga nichts gibt, nichts zu geben braucht, dass er aber Betrübnisse, kleśas, kennt und behindert, dass er „Behinderungen behindert“.
Yoga Nidrā – Der Heilschlaf der Yogis
Zwei Übungen von jeweils 30 Min