āśrama oder Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne
brahmacarya
gṛhasta
vānaprastha
sаṃnyāsa
Des Menschen spirituelle (und materielle)
Existenz gründet in den vier Aufenthaltsorten
und Lebensstadien der Veden als
Schüler
Haushälter
Waldeinsiedler
Wandermönch
In jedem einzelnen der vier āśramas ganz neu
und (fast) ganz von vorn.
Im derzeit praktizierten Yoga wird das Wort śrama überhaupt nicht und āśrama, der es notwendig ergänzende Begriff, kaum gebraucht. Handelt es sich dabei um einen Mangel? Mit Sicherheit. Bevor wir unser Vertrauen allein auf die westliche Terminologie und ihre Fließrichtung stützen, sollten wir nach Entsprechungen im Yogabereich Ausschau halten.
Wir kennen doch die Macht der gedachten und gesprochenen Worte und haben das Gesetz nāma-rūpa gelernt: Der Name schafft die Gestalt. Segen, Glück und Freude haben ihren Ursprung im Wort, aber auch Mangel, Not und Krankheit werden herbeigeredet. Westliche Auffassung stellt den Fluss des Denkens gerade umgekehrt dar: Es gäbe zuerst eine Erscheinung, diese bekommt einen Namen.
Der zweite Unterschied des yogischen zum herkömmlichen Denken besteht darin, dass im Yoga jedes Wort, jeder Begriff auf der linearen Ebene nur im Verhältnis zu seinem Gegenstück oder seiner Ergänzung existiert (und keine eigenwillige, „ich“-veranstaltete Eskalation ausführen kann).
Wo rāga (Zuneigung) ist, ist auch dveṣa (Abneigung), ohne kliṣṭa (leidvolle „Zustände“) kein akliṣṭa (leidlose „Zustände“), und śrama wird ergänzt durch āśrama.
Sicher, auch wir im Westen sagen, ohne „hoch“ gibt es kein „tief“, nur erlauben wir beiden Formen eigenständige Erweiterung, so als könnten wir noch höher steigen (denken) oder tiefer sinken (denken) – ohne zwischendurch geprüft zu haben, wer „wir“ überhaupt sind.
Der Begriff śrama bezeichnet Mühe, Plage, Last, auch Krankheit, als Zustände, die durch Vernachlässigung übergeordneter Aufgaben entstanden sind, und gesellt ihnen unmittelbar āśrama, den Zustand und Ort der Geborgenheit hinzu.
Merkmal des Eintritts in einen neuen āśrama ist der Neubeginn.
Im neuen Lebenszeitalter eines Menschen – oder einer Gesellschaft – zählen nicht die Versuche der Reformierung, der Korrektur oder Reparatur des alten. Bei solchen Versuchen kommt keine Freude auf, erst recht wird kein Zauber sichtbar. Wenn es dafür eines Beweises bedarf, brauchen wir uns nur – im Verhältnis zu aktuellen Bemühungen, besonders in der Politik – an die Zeit nach dem Krieg erinnern. Kein Mensch wollte damals das vergangene Regime, seine Systeme und Methoden reparieren oder reformieren, man setzte auf den Neubeginn: der Zauber des Wirtschaftswunders begann.
Besonders deutlich wird der neue Anfang bei der Yoga-Therapie. Diese Therapieform ist nicht so sehr an der Erhebung der bestehenden Beschwerden interessiert (jedoch ohne sie unbeachtet zu lassen), wie daran, neue Impulse zu setzen, oft und mit Absicht in Bereichen, die von den Beschwerden gar nicht betroffen sind.
Das drastischste Erlebnis des neuen āśrams jedoch findet zwischen dem Übenden bzw. Patienten und dem Therapeuten statt. Wenn der Therapeut den Blick in die Vergangenheit sanft schließt und dafür die seither unbeachtet gebliebenen Chancen des neuen Lebensabschnitts beleuchtet, bricht fast ein innerer Jubel aus. Wenn sich der träge gewordene Blick vom Vergangenen löst und die Perspektiven eines neuen Lebens sieht, fühlt sich der Mensch, auch im Alter, wie neugeboren. Man kann in jedem neuen Abschnitt neu jung und frisch sein, aber nicht mit der Erwartungshaltung vergangener Tage.
Trotzdem kann kein Übender einfach in einen „Aschram“, wie ein Ort für gemeinsames Leben oft bezeichnet wird, gehen und in seinen aktuellen āśrama hinein genesen. Mehr als einen Ort bezeichnet das Wort einen Zustand der Entwicklung. Genesung beginnt im āśrama mit der Freude am neuen Anfang, oder wie es Hermann Hesse in seinen Lebensstufen viel besser sagt, mit dem Zauber, der dem Anfang innewohnt.
Vielleicht ist jemand sechzig Jahre alt, hat aber brahmacarya noch gar nicht praktiziert. Er oder sie wird sicher nicht lange Schüler bleiben, in dieser Zeit aber redlich und ohne eigenwillige Fließbewegung verweilen müssen. Bestimmt kann man mit Blick auf āśrama nicht sagen, ich bin sechzig Jahre alt, also gehöre ich (in Form der hiesigen Entsprechung) der Gruppe der Waldeinsiedler an.
Der stärkste Schritt in die Geborgenheit das āśrama setzt noch nicht einmal einen Ortswechsel voraus, viel wichtiger ist die Einwilligung in die andere Weltbetrachtung und vor allem in ihre Terminologie.
Für ältere Menschen (oder Systeme) ist dieser Schritt allerdings ausgestattet mit dem Bonus der in den gezählten Lebensjahren erworbenen Fähigkeit, zwischen den beiden Weltbildern „herkömmlich“ und „yogisch“ unterscheiden und mit beiden leben zu können.
Yoga Nidrā – Der Heilschlaf der Yogis
Zwei Übungen von jeweils 30 Min