Yoga-Nidra – Bericht / shavasana
Yoga-Therapie
Yoga und Naturheilkunde Seite 3b
Yoga-Nidrā
Der Heilschlaf der Yogis
Hellwache, passive Beobachtung statt aktiver Übung
– also ein Erlebnis, das es sonst nicht gibt, macht den Zustand von Yoga-Nidrā aus. Verständnis für den Sinn einer solchen Erfahrung sollte der Yoga-Therapeut bei seinen Patienten nicht erwarten. Hält er es für nötig Interesse zu erwecken, tut er es am Besten mit einer Anwendung. Häufiger jedoch begegnet er dem Thema Yoga-Nidrā als Hilfe bei tatsächlicher Not. Obwohl bei Übenden unverbindliches Interesse bzw. Neugier für Yoga allgemein und Yoga-Nidrā speziell oft viele Jahre lang anhält, übernehmen sie im Fall einer Erkrankung die Übungen kaum in ihre Therapie, zumindest nicht aus eigener Initiative. Herkömmliche Anwendungen gewinnen in diesem Fall Geltung, während gleichzeitig Yogaanwendungen von einflussreichen Außenstehenden als störend bezeichnet werden. Andererseits, wer einmal durch Yoga-Nidrā wieder auf die Füße gekommen ist, wird nie mehr davon lassen.
Anlass für diese nicht gerade sehr optimistische Betrachtung ist ein Bericht im „Yoga-Forum“ (3/2002), der Zeitschrift des Berufsverbandes der Yogalehrenden in Deutschland, der das erfreuliche Gegenteil beschreibt. Es handelt sich dabei um einen tragischen Krankheitsfall, der aber auch mehrere günstige Elemente aufweist. Der Bericht stammt von der betroffenen Patientin selbst. Er ist nicht nur wert mit Respekt zur Kenntnis genommen zu werden, sondern verdient darüber hinaus aus der Warte kundiger Therapeuten der Erläuterung und Ergänzung.
Der Krankheitszustand, es handelt sich um Multiple Sklerose, wird von der Kranken deutlich und so beschrieben wie es nur ein Betroffener selbst tun kann. Was der individuellen Schilderung noch angefügt werden sollte, weil es auch generell wichtig sein könnte, möchte ich durch ein paar Anmerkungen darzustellen versuchen. Zuerst: Es geht nicht ohne die – im Bericht klar erkennbare – Portion Gottvertrauen und eigener Intelligenz. Dann: Es geht auch nicht ohne angemessene Pflege des Patienten. Auch diese Voraussetzung, die leider oft fehlt, war hier vorhanden. Und weiter, zum eigentlichen Thema des Berichts: Ein guter Geist (oder ein guter Behandler) muss es wohl gewesen sein, der das entscheidende Wort gesprochen hat: śavāsana. Es hätte keinen Sinn gemacht und kaum Wirkung gezeigt, wenn „Rücken- und/oder Atemübungen“ praktiziert worden wären. In Situationen wie dieser sind Sanskritworte nicht nur Bezeichnungen, sondern entfalten schon im Klang ihrer Aussprache ihre Schwingung als Wirkung. Die vṛttis der Worte beginnen zu wirken. Und zwar um so besser, je weniger sie erklärt werden. Eine der Grundideen der indischen Lehre, das Prinzip nama-rūpa, tritt auf den Plan. Das heißt: Aus der Vibration des Wortes entsteht die Gestalt. Im konkreten Fall: die neue, heile Gestalt.
Wer, wie die Patientin, zur Reglosigkeit reduziert ist – oder wer diese auf sich nimmt – dem bleibt nichts anderes übrig als das Sein im Atem, das Bewusstsein im Atem, im verbliebenen Rest des wahrnehmbaren Lebens. Dort findet keine Atemübung statt, dort wird prāṇa zum eindringlichen Erlebnis. Die Situation bewirkt den eigentlichen Sinn von prāṇa, die Identität mit prāṇāyāma. Und, wie bei der Patientin, wenn alle anwendbaren Mittel und Maßnahmen erschöpft sind, aber die Lebenskraft selbst, prāṇa, dennoch tätig ist, kann nichts anderes geschehen als das unbekannte, das wunderbar Heilsame.
Sehr behutsam müssen wir mit dem gesamten Thema umgehen. Es gibt zwar eine Fülle von Erfahrungen, sie beruhen jedoch alle auf den Erlebnissen Einzelner und lassen sich nicht im Stil westlicher Therapie lehren und anwenden. Unser Lehrer, Selvarajan Yesudian, hat das erkannt, wollte aber, trotz aller Zurückhaltung, nicht auf die Weitergabe dieses Kernstückes der Yogapraxis ganz verzichten. Auf seinem Übungsblatt, ebenso wie auf unserem, steht jede Woche die Übung śavāsana. Das heißt, jede Übungsstunde beginnt und endet mit śavāsana – ausdrücklich unter Nennung dieses Namens.
Es gibt drei Formen der Übung śavāsana:
- Ohne Vorgabe von Anweisungen durch den Lehrer/Therapeuten. Jeder ist sich selbst überlassen. Der Lehrer ist aber anwesend.
- Mit der Ansage des Lehrers zum Durchwandern des Körpers.
- Als Yoga-Nidrā. Bei Yoga-Nidrā werden vom Lehrer bestimmte Bilder, Vorstellungen, Imaginationen aufgerufen – sie dienen als Einladung für eigene Assoziationen.
Die Erfahrung mit Yoga-Nidrā und śavāsana lässt sich nicht verallgemeinern, sie wird immer das Erlebnis Einzelner bleiben. Heilsame Erlebnisse auszulösen lässt sich hingegen leicht lernen.
Der große Lehrer Svami Satyananda Saraswati hat uns mit Yoga-Nidrā beschenkt. Es ist nicht verwunderlich, dass seine Gabe noch nicht wirklich bei uns angekommen ist, sie ist in absolut ungeeigneter Weise bestehndem Wissen einverleibt worden. Wer am Original teil hat, hat sich ihren Regeln freiwillig unterworfen oder hatte keine andere Wahl.
Zum Vergleich mit dem Bericht der Patientin hier noch ein paar Worte aus dem Originaltext des Svami: „Verändere den Körper nicht mehr, bleibe in śavāsana, sei vollkommen bewegungslos.“
„Bring deine Wahrnehmung nach innen und beginne damit, den ganzen Körper zu erforschen…“
„Nachdem dein ganzer Körper nun still und bewegungslos geworden ist, kannst du die feineren Abläufe im Körper wahrnehmen.“
„Natürlich schwingt der ganze Körper, alle prānas bewegen sich, aber normalerweise merken wir das nicht…“
Wir haben noch viel zu lernen. Wir danken der Patientin, dass sie uns durch ihren Bericht dabei geholfen hat.
Yoga Nidrā – Der Heilschlaf der Yogis
Zwei Übungen von jeweils 30 Min
The Bhagavad Gita as a Living Experience
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