Subliminal
Etymology: sub- + Latin limin-, limen threshold
Das englische Wort wird in unserer Sprache entweder direkt übernommen oder als „unterschwellig“, korrekter, als „jenseits der Grenze“, übersetzt.
Mit dem Thema haben wir insofern zu tun, weil es a) eine große Anzahl formulierter Methoden für unterschwelliges Lernen gibt und b) es uns – in seinem modernen Gewande als Psychologie – auf Schritt und Tritt begegnet.
Als Lernmethode gründet die subliminale Technik auf der Tatsache, dass Inhalte des normalen auralen Hörvorgangs mit Informationen unterhalb der Schwelle bewusster Wahrnehmung unterlegt werden können. Man hört Musik und lernt dabei beliebige Vokabeln.
Die Allgegenwart der Psychologie beruht darauf, dass der Mensch seit Adam und Eva Grenzerfahrungen begehrt und auch in verbotene, ja gefährliche Früchte beißen will. Als Übende im Yoga sind wir mit beiden Aspekten befasst.
Wirksames Lernen der Yogatexte – der Veden, der Upanishaden, der Bhagavad-Gītā wäre nicht möglich, würde es nicht unterschwellig geschehen: der Lernende singt (chanted) die Melodie der ślokas oder sūtras und nimmt dabei – subliminal – deren Worte auf. Das Gewicht seiner Aufmerksamkeit liegt im Rhythmus, in der Melodie, die Worte schleichen sich ein. Ganz ähnlich verhält es sich bei der akustisch gesteuerten Ausführung der āsanas, der Körperübungen.
Mit dem anderen Aspekt, mit der seit Sigmund Freud und Wilhelm Wundt groß gewordenen Seelenlehre, haben wir eigentlich nichts zu tun; Seele und Seelenlehre gibt es im Yoga nicht. Sri Ramana Maharshi, der Weise vom Berg Arunachala, lässt uns die Frage stellen, wie und wo wir denn einer Seele begegnet wären, so wie wir unseren Armen und Beinen, Haut und Haaren, unseren Gedanken begegnen. Sri Ramana sagt, dass jeder die Frage selbst stellen muss.
Andererseits wäre es töricht, wenn wir den ganzen, auch die Entwicklung der Psychologie begründenden, subliminalen Bereich leugnen würden. Seit biblischen Zeiten möchte der Mensch Erkenntnis seiner selbst erlangen und begibt sich deshalb in Gefahr – lässt sich von der Schlange verführen. Oder er schaut – wissenschaftlich getarnt – selbst nach, ob es vielleicht im Bereich jenseits des offen liegenden Bewusstseins Antworten auf die Frage nach seiner wahren Identität gibt. Die Anhänger der Psychologie meinen fündig geworden zu sein, indem sie die nicht offenkundigen Bereiche des menschlichen Innenlebens, als das „Unter- und Unbewusste“ bezeichnet und versuchsweise kartografiert haben. Sehr schwer kann diese Entdeckung nicht gewesen sein, denn „dass da etwas ist“ liegt auf der Hand. Und der Schritt von der Suche auf himmelwärts gerichteten Wegen hin zur rationalen Erkundung der eigenen Tiefe lag nahe.
Töricht waren aber auch die Lehrer im Osten nicht, sie gingen nur anders um mit dem „was da jenseits sein mag“: sie sind nicht eingedrungen. Stattdessen haben sie in Andacht und Ergebenheit die Offenbarung der jenseits, aber im eigenen Wesen, vermuteten Kräfte erbeten. Ihr „bilderndes“ Gemüt hat die dabei aus der Tiefe des Gemüts kraftvoll aufsteigenden Gestalten nach außen projiziert. So entstand das Pantheon anrufbarer Symbole, die Welt der Götter, und verhieß den Andächtigen Hilfe, hauptsächlich bei der Erkenntnis ihrer wahren Identität. Die Technik bestand darin, das persönliche Ich, welches die Sicht auf die wahre Identität versperrt, den Göttern zu opfern bzw. – im Yoga – es durch das Einnehmen von āsanas in Idee und Gestalt der Haltung aufgehen zu lassen.
Aus unserer heutigen Sicht ziehen wir den östlichen Weg zur Selbsterkenntnis vor, besonders so, wie er in der Yogalehre formuliert wurde.
Wer damit begonnen hat täglich – täglich ist täglich – nach den Regeln von Wann, Warum, Was, Wie und Wo dieser Lehre zu üben, wird bald merken, dass die dabei entstehenden Fragen und Probleme ihre Antworten und Lösungen schon in sich tragen. Und dass die Antwort auf die Frage „Wer bin ich?“ aus dem Bereich jenseits des Erforschbaren kommt.