Selbsttest
Frage: Im Unterricht gebrauchten Sie das Wort Selbsttest. Es klang gut in meinen Ohren. Ich möchte gern etwas mehr darüber hören.
Antwort: „Selbsttest“ ist mal wieder ein geliehenes Wort, ein Wort, mit dessen Hilfe wir uns eine Brücke zur Weisheit des Ostens bauen.
F: Widersprechen wir damit nicht Shri Ramana, der nicht einmal dem Weisen den Brückenbau zutraut?
A: Kaum, wenngleich sein Wort von den nicht überbrückbaren Gegensätzen („die Welt, die er kennt“ gegenüber dem Selbst, der Wirklichkeit, von der er hört“) natürlich für alle Gegensätze gilt. Kaum, deshalb, weil der Unterschied zwischen Ost und West so riesig ist, dass es von unserer Seite aus ohne behutsame Hilfe keine wirkliche Begegnung gibt.
F: Gibt es für den Unterschied ein deutliches Beispiel?
A: Ja, ein gutes Beispiel ist die Wirkung der Sprache. Unsere Sprache ist – im Verhältnis zu der Sri Ramanas – nicht „wirkungsbegabt“. Seine Worte wirken direkt, unsere schlagen sich – bestenfalls – im Gedächtnis nieder. Wenn Sri Ramana sagt „Du bist dein eigenes Selbst“, bewirkt seine Rede unmittelbar die Aufhebung der Identifikation mit dem Körper wie auch mit dem denkenden Gemüt.
F: Können wir das Gleiche erreichen?
A: Ja, aber wir müssen Brücken bauen. Stufenweise, etwa so:
Lernen. | Ich weiß vom Selbst. Die Ebene der Gelehrten. |
Tun. | Ich bemühe mich um das Selbst. Die Ebene Jakob Böhmes: „Tun, tun muss es sein, oder es gilt nicht.“ |
Zulassen. | Ich tue nicht, ich lasse „es“ zu. Die Ebene der Priester. |
Unio mystica. | Ich und das Selbst sind eins. |
F: Wo, auf diesen Stufen, befindet sich der Yogaübende?
A: Das ist das Merkmal des Übenden: Er/Sie durchwandert alle Stufen wieder und wieder.
F: Gibt es kein Ende mit den Mühen der ersten beiden Stufen?
A: Es gibt kein Verweilen im höchsten Stand. Ist er einmal bewusst erreicht, gibt es auch keinen Wunsch dort zu verweilen. Es sind immer Kreisläufe, die wir durchschreiten. So auch bei aṣṭānga, dem achtgliedrigen Weg, als Lern- und Lehrstätte.
F: Erst mit dem dritten Schritt haben wir Nähe zu Shri Ramana erreicht. Was erleben wir im Selbsttest auf den Stufen vorher.
A: Vorher nehmen wir es uns selbst übel, wenn wir uns nicht oder nicht ausreichend bemühen.
F: Also ist Unzufriedenheit eigentlich ein Merkmal dafür, auf dem Weg zu sein.
A: Unzufriedenheit und (Selbst)vorwürfe sind – oft verlagert-, weil sie unverzichtbar sind. Sie sind der Ausdruck für die Arbeit an sich selbst, z. B. für den Selbsttest.
F: Dann stecken wir also unbewusst schon mitten drin – wer macht sich keine Vorwürfe?
A: Natürlich stecken wir „mitten drin“ im Leben. Wir müssen nur von der unsinnigen Meinung lassen, dass wir „dieser (oder jener) Erfahrung“ nicht bedurft hätten.
F: Wie ist nun das konkrete Vorgehen mit Yoga?
A: Gegen das Aufkommen von Übel (oder, sich selbst etwas übel zu nehmen) haben wir kein Mittel, wohl aber für den Umgang mit dem Übel. Unser Mittel stammt, wie alles im Yoga, aus der Quelle der Weisheit der Weisen und ist – das ist sein Gütesigel – schlicht und einfach, weshalb es von den „Ich weiß“-Leuten oft bespöttelt wird.
F: Nennen Sie doch bitte das konkrete Vorgehen beim Namen.
A: Schlicht und einfach: Üben. Jede wirkliche Yogaübung ziehlt auf alles, ziehlt auf das was am Nötigsten ist – ohne es vorher definiert zu haben.
F: Letzte Frage. Gibt es noch einen besonderen Hinweis, eine besondere Betonung beim Üben?
A: Schon, einige. Das Mittelstück der wirksamsten, der angeborenen Yogatechnik ist die Übung kumbhaka, genauer bhāya kumbhaka, die Pause nach der Ausatmung.
Yoga Nidrā – Der Heilschlaf der Yogis
Zwei Übungen von jeweils 30 Min