Schwimmen

…die alt-indische Psychologie wusste mehr, hat dieses Wissen aber nicht, wie
es heute bei uns Brauch ist, zum Gegenstand wissenschaftlicher
Untersuchungen und Betrachtungen gemacht, sondern es praktisch
– nämlich als Yoga – als natürliches Hilfsmittel verarbeitet.
Hans-Ulrich Rieker

Schwimmen

Wenn Rolf Breuer mit seiner Angel am Wasser stand, wollte er nicht Fische fangen, sondern Kindern (oder deren ängstlichen Eltern) das Schwimmen beibringen. Der Bademeister hielt die von ihm Betreuten am Haken und lies sie mit Armen und Beinen solche Bewegungen ausführen, die man auch bei regulär schwimmenden Menschen sieht. Das ist schon sehr lange her und ich bezweifle, dass diese Methode heute noch angewandt wird, zumal wir damals schon darüber gelacht haben, weil wir einfach in das (nicht so tiefe) Wasser gesprungen sind – und schwimmen konnten. Manche Beobachter sagen, schreien und schwimmen kann der Mensch schon vom Moment der Geburt an. (Der französische Gynäkologe Frédérick Leboyer lässt seine Patientinnen ihre Kinder in das Wasser hinein gebären.)

Ja, der Herr Breuer, er übte erst am Beckenrand mit seinen Schützlingen: Arm- und Beinbewegungen in der Luft und – vor allem – den Atem, der Atem musste stimmen, „ein“ beim Vorwärtsstrecken der Arme, „aus“ beim Zurückrudern der Arme, und passend dazu das Tempo der Beine. Wir standen etwas abseits, von wo aus wir gerade noch seine theoretischen Ausführungen über das Gewicht des Körpers im Verhältnis zum Wasser usw. mithören konnten. Wären wir näher gekommen, hätten wir erst für seinen Unterricht bezahlen müssen.

Im Yoga habe ich mich immer wieder an den Schwimmmeister der Kindheitstage erinnert und seinen Stil in meinem Unterricht aufleben lassen: er trifft ja nicht nur für das Schwimmen zu, sondern ist ein leicht verständliches Muster für viele andere unserer Verhaltensweisen. Unser Verstand duldet kein Vakuum. Wenn wir eine Übung, auch wenn sie erkennbar keine Gefahr einschließt, ausführen sollen, wollen wir erst einmal wissen „wieso“ und „warum“. Dass damit die Wirkung zur Hälfte verpufft, nehmen wir zur Kenntnis und in Kauf: Das mentale Wissen um einen Vorgang hat Vorrang vor allem anderen sonst.

Meine langen Ausführungen über den Schwimmunterricht rechtfertige ich damit, dass ich unseren Unterrichtsstil im Yoga mit ihnen vergleiche. Es ist überhaupt nichts dagegen zu sagen, wenn Übende am Anfang und immer mal wieder zwischendurch „wissen wollen, was die Übung bringt“, also meine Meinung oder die eines anderen Lehrers über die Übung erfahren wollen, anstatt ihre eigene Erfahrung zu machen. Allerdings, wenn das „wissen wollen“ zur Institution – manchmal sogar zum Element einer Prüfung – erhoben wird, dann kann von Yoga und von eigener Kreativität keine Rede mehr sein.

Wir sind der Auffassung, dass die Yogawissenschaft, also alles, was im Yoga durch „erklären“ befriedigend gelöst werden kann, aus nicht mehr als vierzehn Worten besteht, nämlich den ersten vierzehn Worten der Yoga-Sutras. Nur diese wenigen Worte stehen unumstößlich fest, was es sonst noch gibt, ist der Interpretation und dem Wandel unterworfen, lohnt deshalb – im Verhältnis zur eigenen Erfahrung – nicht der expliziten Auslegung. (Deshalb ist auch der Schreiber dieser Zeilen nicht bemüht, so zu formulieren, dass alles ohne Mühe und eventuelle Rückfrage verstanden wird.)

Im Schwimmen muss man herausfinden, welche Technik am meisten Spaß macht: Rücken-, oder Brustschwimmen oder Crawl; das weiß der Anfänger nicht, aber in diese Entscheidung wird auch der Herr Breuer nicht eingreifen – obwohl er der Schwimmlehrer bleibt. Selbst wenn der Yogaübende seinen Weg gefunden hat, sich für Bhakti-, Jnana-, Karma- oder Raja-Yoga entschieden hat, ist die Aufgabe des Yogalehrers nicht beendet, wahrscheinlich beginnt sie erst dann. Zum Nada-Yoga – zum Beispiel – ist es noch ein weiter Weg.