atha – iti

Eine Ansprache an die Übenden vor den āsanas:
atha – iti
Die Perlenschnur der Yogis

Sie könnten nicht leibhaftig vor mir sitzen und mir zuhören, wenn Sie nicht die Elemente aus denen der Yoga besteht per se repräsentieren würden. Womit der Yoga umgeht: Atem – Körperhaltung – Stille – Studium – Hingabe – Sprechen – Singen und so weiter sind Erscheinungsweisen und Vorgänge auch ohne Yoga.

Wodurch bekommen diese Elemente einen Platz im Yoga?
Ganz einfach: Durch ihren Bezug zueinander – vom Anfang atha zum Ende iti.
Wir nennen den Yoga manchmal „die Perlenschnur der Yogis“.

Nämlich:

  • Die Elemente des Lebens neu einfädeln, sie wieder in ihrem rhythmischen Zusammenhang sehen.
  • Autonome Vorgänge, wie den Atem, mit ihren Auswirkungen auf das ganze Wesen erleben.
  • Den Übungen keine Eigenständigkeit erlauben.

Alle Gegensätze, auch Freude und Leid, sind im Rhythmus schwingende Geschwisterpaare.

Wer nach den Regeln der Yoga-Sūtras übt, kennt die geordnete Abfolge der Yoga-Lehrsätze.

Vereinzelt macht ein Wort wie „avidyā“ (Nichtwissen) keinen Sinn, aber an seinem Platz (II,3) wirkt es Wunder, gibt Antwort auf begonnene aber nicht zu Ende gebrachte Fragen.

Alle Sūtras beschreiben Kreise, sie beginnen mit atha und enden mit iti. Der Faden entgleitet nicht: Die durch tapas (Yoga-Sūtra II,1) entstandene Kraft kann nicht beliebig eingesetzt werden, sie geht über in den nächsten Schritt svādhyāya (eigenes Studium) oder geht verloren.

Eine der fatalsten Situationen, an welcher Ungeübte gleichwohl lange festhalten, ist das Aus-dem-Zusammenhang-reißen der Körperübungen, ihr „nützliches Anwenden“. Ebenso der Versuch, die vedische Lehre mit westlicher Psychologie und Philosophie zu erklären. Der Versuch beginnt am Lehrstuhl und reicht bis zur Peinlichkeit im Alltag, wenn Worte der Sanskritsprache, wie Mantra, Guru, Chakra, aus ihrem Kontext gerissen und sinnentstellt in westliche Formulierungen eingefügt werden.

Das „ICH“ im Bibelwort offenbart seinen Sinn auch nur im eigenen Umfeld der Apokalypse (22,13)

ICH bin das Alpha und das Omega,
der Erste und der Letzte,
der Anfang und das Ende.

Ähnlich dem christlichen Weltbild hat das vedische keinen ungewissen Ausgang, atha und iti bilden einen Kreis, einen Kreislauf mit Anfang und Ende, wobei zu einem bestimmten Anfang ein bestimmtes Ende gehört. Geht die Ausrichtung eines Vorgangs auf sein Ende verloren, entstehen unaufgelöste Sedimente. Diese werden oft als „das Unbewusste“ bezeichnet, Yogis sprechen von saṃskāras. Das ist der Zustand, in dem sich der Mensch mit dem Körper und dem Handeln identifiziert.

Nach der vedischen Lehre, die sich im Yoga in ihrer praktischen Form darstellt, sind alle Situationen und Stationen des Lebens analog zu dem großen Kreislauf (mahākāla oder mahāyuga). Übungen im Yoga haben den Sinn, mahākāla imaginativ darzustellen und die saṃskāras in mahākāla aufzulösen. So haben sich für die Lehrer aus den rhythmischen Zusammenhängen der Elemente des Lebens übbare, untrennbare Einheiten ergeben. Das klassische Beispiel für solche Einheiten heißt astānga, Yoga-Sūtra II,28, das sind die acht ineinander übergehenden Glieder eines Yogaweges.

In der Tradition unserer Schule betreten Sie nun den achtgliedrigen Weg auf Stufe drei: āsana. Sie liegen auf dem Rücken…“