Übungen
Yoga-Sūtra II,46: sthira-sukham-āsanam
Direkt beliebt macht sich der Yogalehrer nicht, wenn er die Erwartung mancher Anfänger im Yoga gleich zu Beginn etwas dämpft. Man war ja gekommen, weil es im Yoga allerlei interessante Übungen geben soll, wie zum Beispiel den Kopfstand. Und dann sagt der Lehrer ziemlich trocken: „Die Sitzhaltung (sei) fest und angenehm“. Er rückt damit den einzigen Hinweis auf Körperhaltungen den die Yoga-Sutras enthalten – siehe Sanskrit-Text oben – an seine gebührende Stelle. Er sagt vielleicht noch dazu: „Erst wenn das klar ist, kann man auch an die Vielzahl anderer Übungen denken“. Geht das Gespräch weiter, könnte der staunende Neuling sogar noch hören, dass schließlich jede beliebige Körperhaltung eine Yogahaltung ist oder sein kann.
Yoga ist eine verschlossene Tür.
Jedermann kann anklopfen,
wenn er einzutreten begehrt.
Aber bis er eingetreten ist,
kann er nicht wissen,
was sich hinter der Tür befindet.
P.D. Ouspensky
Wer sich durch diese unerwartete Information – und es werden noch viele ähnliche folgen – nicht abschrecken lässt, wird dann bald den Sinn eines ersten Dämpfers verstehen und schätzen lernen. Es erweist sich nämlich als mehr als nur „interessant“ eine völlig neue Welt, eine völlig andere Denkweise kennen zu lernen – um schließlich zu entdecken, dass sie die ureigensten sind.
Ihre Bedeutung entwickeln die Übungen im Yoga mit der Entwicklung des Übenden. Die oben zitierte Übung, der Festsitz, scheint im Konzept (nicht unbedingt in der körperlichen Ausführung) schlicht und einfach zu sein: Man sitzt. Später – als Folge des durch „Sitzen“ eingeleiteten Fortschritts – gesellt sich nicht nur die Frage hinzu „Wie man sitzt“, sondern noch mehr die andere „Wer da sitzt“. Die Antwort „Ich sitze“ genügt der fortgeschrittenen Entwicklung nicht mehr
Besonders sensible Übungen, wie ardha candrāsana (Halbmond Haltung) erforden Geduld auf Seiten des Übenden und nicht minder des Lehrers. So gilt bei trikoṇāsana (Dreiecks-Haltung): „Erst mit dem aufeinander abgestimmten Zusammenwirken der symbolhaften Idee und der körperlichen Ausführung ist die Übung vollständig.“
Vorläufig heißt die Hauptaufgabe: übend warten. Warten bis man bereit ist, „ein Baum, ein Halbmond, ein Dreieck zu sein“. Wie sich der „Wandel zum Baum“ – ohne verquere Zuspitzungen – vollzieht, weiß der Yogalehrer. Ihm geht es nicht nur darum, dass sich der Übende nicht weh tut, ebenso wichtig ist ihm, dass die Idee der Übung nicht verletzt wird.
Und anfängliche Unmutsäußerungen verstummen in dem Maße, in dem durch eigene Erfahrung die Einsicht in den Sinn der Yogalehre wächst.
Vyāsas Kommentar zum Yogasūtra III,6:
yogena yogo jñātavyo
yoga yogāt pravartate/
yo’pramattas tu yogena
sa yoge ramate ciram/
Rāma Prasādas Übersetzung:
The Yoga is to be known by the Yoga;
the Yoga becomes manifest by the Yoga;
whoever is not confused, enjoys the Yoga
for long by the Yoga.
Der Yoga wird durch den Yoga erkannt.
Der Yoga geht aus dem Yoga hervor.
Wer sich nicht verwirren lässt,
erfreut sich durch Yoga
lange am Yoga.
Yoga Nidrā – Der Heilschlaf der Yogis
Zwei Übungen von jeweils 30 Min