Imaginatives Üben = Trennung von Intellekt und Körper?
Frage: In einer renommierten Yoga-Zeitschrift habe ich Sätze gelesen, die ich gern in Übereinstimmung mit unserer Schule bringen möchte. Der Autor schreibt, unser Intellekt habe die Fähigkeit sich vom übrigen Organismus abzutrennen und eine Art virtuelles Doppelleben zu führen. Besorgt bin ich, weil wir, wie mir scheint, so etwas sogar lernen. Täusche ich mich, wenn ich das Imaginative Üben unserer Schule mit der Trennung von Intellekt und Körper in Verbindung bringe?
Antwort: Sie täuschen sich nicht, was die Ähnlichkeit der beiden Vorgänge angeht. Beide stammen aus dem gleichen Bereich unserer geistigen Kräfte. Ihr Entstehen ist unvermeidlich, der Mensch ist nicht nur phantasiebegabt, er ist im Gegenteil fleischgewordene Phantasie. Der Schöpfungskanon folgt dem Weg vom Wort über das Bild zur Gestalt. Auf diesem Weg begegnet das anfängliche Wort (Gottes) sich selbst – Wie einem Echo. So entsteht die Vielfalt der immer wieder neu gestaltannehmenden Welt. An einer bestimmten Stelle des Weges erscheint das Ich des persönlichen Menschen, eben unvermeidlich und individuell einmalig. An einer weiteren Stelle des gleichen Weges steht die Frage des nun zum Ego gewordenen Menschen nach seiner wahren Identität. Vom Zuhören des Menschen – auf eine Antwort zu seiner Frage – hängt sein weiterer Weg – wir sagen Schicksal – ab. Und damit, mit dem Zuhören, auch die Art und Weise der aus dem Wort entstehenden Bilder. Yoga sagt, entweder vereinzeln sich die Bilder und gehen um mit uns oder wir üben und gehen um mit ihnen. Deshalb – um Ihre Frage zu beantworten – gibt es im Yoga (nicht nur im Yoga) das bewusste Imaginative Üben. Die auf diese Weise entstehenden Formen unserer Intellektualität, also Bilder, Wünsche, Gefühle – auch Ängste -, führen kein Eigenleben, sie sind vielmehr Bestandteil der Übung, in deren Rahmen sie aufgerufen wurden und Gestalt angenommen haben. Schlummernde Formen – manche nennen sie das Unter- oder Unbewusste – werden in Laufe der Zeit behutsam geweckt und ebenfalls integriert.