Deutliche Haltephasen während des Ablaufs der Ansage

Frage: Auf Seite zwei (āsanas) Ihrer Homepage-Seiten beschreiben Sie das Ansagen der āsanas und erwähnen dabei „deutliche Haltephasen während des Ablaufs der Ansage“. Was ist damit gemeint?
Antwort: Ich kann hier nur den auf die Funktion bezogenen Teil der Frage – in Abgrenzung zu der dahinter stehenden Idee – beantworten. Die Ansage der Übungen beschreibt jeweils kleinstmögliche Teile der Gesamtansage. Zum Beispiel: „Ausatmen“ – „Hände straff strecken“ – Pause und Ausführung abwarten – „Handflächen nach außen drehen“ – Pause und Ausführung abwarten – „Einatmen, dabei die Armen heben“ – Pause und so weiter. Bei unserem System erhöht diese Technik die Aufmerksamkeit des Lehrers und der Übenden ganz erheblich. Nur ein kleiner Hinweis auf die „Idee“: Die Pause zwischen den einzelnen Bewegungen ist wichtiger als die Bewegungen.

F: Sie haben bei der Betrachtung des Wochenthemas gesagt: „Wir lernen im Yoga zu vergessen“. Ich weiß, Sie sagten das in Verbindung mit dem Wort von Henri Matisse, wo es bei einigem Nachdenken ja auch Sinn macht, aber kann man denn das so einfach verallgemeinern, wie es bei Ihnen geklungen hat?
A: Hier bin ich besonders froh, dass gefragt wird. Und damit auch die Leser wissen was gemeint ist, möchte ich die Worte von Henri Matisse erst wiederholen: „Für einen Maler gibt es nichts Schwierigeres, als eine Rose zu malen, denn dazu muss er zuerst alle Rosen vergessen, die jemals gemalt worden sind.“ Vom Yogastandpunkt aus möchte ich zweierlei dazu sagen, einmal: Als Beispiel gilt das auch für einen Musiker, er kann nur gut spielen, wenn er die Musik neu empfindet, jedes Mal, wenn er sie spielt. Das gleiche betrifft den Lehrer, der nicht wirklich unterrichten kann, wenn er alles schon kennt, sich also sein Thema nicht neu erarbeiten muss – angesichts seiner Schüler. Ebenso den Arzt, der nicht zweimal demselben Kranksein begegnen wird. Diese Beispiele lassen sich überall hin beliebig fortsetzen. Der andere Punkt gilt dem „Vergessen“: Wir sollten vergessen nicht mit verdösen verwechseln. Bei Matisse und bei uns ist mit vergessen verzichten gemeint, der heilsame Verzicht darauf, über eine beendete Übung, eine durchlaufene Schulung, eine getane Arbeit oder eine längst vergangene Epoche des Lebens nachzudenken, nachzusinnen, nachzugrübeln. Nochmals der Musiker: Nur wenn der Pianist seine Fingerübungen so gelernt hat, dass er sie beim Spiel vergessen kann, kann er mit der Musik eins werden. Und Fingerübungen gibt es nicht nur am Klavier. Nochmals Matisse: Der Maler und der Yogi, beide unterscheiden zwischen dem handwerklichen Teil: der Kunst Farben aufzutragen bzw. eine Körperhaltung einzunehmen, und dem anderen Teil: dem Duft der Rose, dem Sinn der Übung Ausdruck zu geben.