Andere Worte für Begriffe unseres ständigen Umgangs

Frage: Sie sagten, mit seinen Formulierungen kommt die psychologische Sichtweise des Autors unseren Yogaelementen nahe und macht diese deutlich. Der „fremde Blick“ auf vertraute Inhalte vermittle manchmal mehr Nähe als der gewohnte. Aussagen wie „Sonderstatus der heilenden Faktoren“, die „ganze Aufmerksamkeit und Hingabe oder der bewegenden Kern“ seien andere Worte für Begriffe unseres ständigen Umganges. Können Sie Einzelheiten sagen?
Antwort: Zunächst geht es um den „bewegenden Kern“, denn mit diesem Wort hat der Autor eine besonders treffende Bezeichnung gefunden.

F: Was ist das Besondere daran?
A: So wie das Wort vom alles bewegenden Kern keine bestimmte weltanschauliche oder konfessionelle Einbindung zulässt, so legt uns Yoga nicht auf eine bestimmte Identität des Bewegers oder Schöpfers fest. Aber: Yoga unterscheidet an dieser Stelle notwendig zwischen dem ICH, als dem Selbst (ātman), und dem persönlichen Ich (aham).

F: Demnach müssen Übende selbst herausfinden wer von wo und von wem bewegt wird.
A: Ja, das ist ihre Übung, allerdings mit der Erweiterung, für den „Beweger“ sowohl einen (selbst erwählten), wie auch keinen Namen zu haben. Die Unterscheidung zwischen „mit oder ohne Namen“ verdichtet und klärt sich durch die Frage „Wer bin ich?“ Beide gemeinsam, Frage und Antwort, markieren in hilfreicher Weise Einstieg und Ausblick auf den gesamten Yogaweg des Übenden.

F: „Ganze Aufmerksamkeit und Hingabe in allen Lebensäußerungen“ meint wohl, zu vermeiden, einzelne Lebensäußerungen zu bevorzugen und andere zu verdrängen? Führt diese Haltung nicht dazu auch negativen Erscheinungen Raum zu geben?
A: Natürlich, nur vom Wesen her sind alle Lebensäußerungen in einem natürlichen Gleichgewicht, einem Spiel, welches wir mit all seinen positiven und negativen Merkmalen erleben. Es sind unsere oft festsitzenden Gewohnheiten, (genauer: übernommenen Fremderfahrungen), der Zustimmung und Ablehnung die dieses Gleichgewicht stören.

F: Wie kommt Abhilfe zustande?
A: Entweder ganz einfach oder sehr schwer. Einfach dann, wenn wir die Voraussetzung schaffen, alle Lebensäußerungen zuzulassen und sie aus eigener Erfahrung neu kennenlernen. Schwer, wenn wir so stark in Gewohnheiten, Meinungen, Erfahrungen und von anderen gesetzten Normen verstrickt sind, dass unsere eigenen Spielräume kein wirklich eigenständiges Naturell begründen.

F: Wie gehen wir im Yoga damit um? Gibt es Übungsanweisungen?
A: Hier muss ich den Autor wiederholen: dafür gibt es keinen Sonderstatus, insofern ist das ganze Leben Yoga. Yoga begründet, vertieft und festigt unsere Eigenständigkeit, zunächst intern, auf der Übungsmatte; erst die dort gesprochene Bekräftigungsformel bewirkt: „Der Atem verteilt die erlebte Kraft im Körper und darüber hinaus.“

F: Gibt es ein einfaches Beispiel für Eigenständigkeit?
A: Ein sehr einfaches. Wenn Sie nachschlagen was prāṇāyāma, auch im achtgliedrigen Weg (āṣṭāṅga), bedeutet, finden Sie eine allgemein verbreitete Meinung: die Übersetzer sprechen von „Atemregulierung und meinen damit die Kontrolle des Atems, zum Beispiel seiner Verlangsamung, durch die Person, die da atmet. Der Übende erlebt: hier begegnen Wahrheit und Irrtum einander.

F: Was ist die Wahrheit, was der Irrtum?
A: Die Lehrer kennen die menschliche Natur und lehren beides als Einheit. Wissen und Nichtwissen, Können und Nichtkönnen, Wahrheit und Irrtum oder, wie das Sūtra (II,2) sagt: rāga und dveṣa, Zuneigung und Abneigung. Polare Gegensätze, wechseln – vereinfacht gesagt – einander ab.

F: Demnach bin ich also auch den stürmischen Formen innerer Gegensätze, euphorischen und depressiven Zuständen, gegenüber wehrlos?
A: Eben gerade nicht. Hohe Berge und tiefe Täler mögen ja in der Natur für viele Menschen willkommene Reize haben, nicht jedoch in deren Gemüt. Eine innere Hügellandschaft ist besser und tut uns wohl. (Pfarrer Kneipp hat gesagt: sanfte und mittlere Reize sind heilsam, starke schädlich.)

F: Demnach haben starke Übungen“ im Yoga wenig Sinn.
A: Übungen sollten stark sein in der Vorstellung aber angemessen behutsam bei der Ausführung. Und, wir üben auf zwei Ebenen: auf der Matte bestimmte, ausgewählte Übungen, zunehmend aber auch außerhalb der Matte. Alle Lebensäußerungen, wie sie unser eigenes Naturell mit sich bringt sind ebenfalls Übungen.

F: Wie und wo entwickelt sich unser Übungsverhalten im Sinn von „sowohl als auch“?
A: Hauptsächlich auf der Matte. Bei prānāyāma, zum Beispiel in Form der „Vollständigen Yogi-Atmung (pūrṇa prāṇāyāma)“,greifen wir durchaus ein in das sonst fast unbeachtete Atemgeschehen und verlangsamen den Atem willentlich. Aber solche persönliche Kontrolle darf nur der eine Part im Wechselspiel der Gegensätze sein. Zum Glück ergreift der andere, die spontane Lebensäußerung „Atem“, gelegentlich selbst die Initiative: Als die mit „prāṇāyāma“ eigentlich gemeinten Kontrolle kontrolliert der spontane Atemrhythmus unser gesamtes System. Der Mensch, das ganze System, „atmet auf“. Da gibt es noch einen vierten Schwerpunkt unseres Themas: Der Untertitel des Buches aus dem der Text stammt lautet „Heilung mit Spontanritualen“. Wir tun gut daran, dem „bewegenden Kern“ in uns zugewandt und für seine Spontanität aufmerksam und voller Hingabe zu sein. Er kennt keinen Sonderstatus, fordert aber unsere persönliche Entscheidung.