So tun als ob
Wer da sagt, Sanskrit zu lernen sei sinnlos, unnötig und zu schwer, hat recht. Wer aber recht hat und besonnen ist, räumt ein, dass auch das Gegenteil richtig sein kann, dass es auf den Standpunkt ankommt. Bei einem Thema mit so hohem Anspruch wie diesem, nämlich dem Umgang mit einer der ältesten und fraglos der am höchsten entwickelten Sprache der Welt, sollten beide Positionen zu Wort kommen.
Sicher, wir brauchten mehr als eine Lebenszeit, wollten wir Sanskrit so lernen, sprechen und schreiben, wie wir Sprache von unserer Muttersprache her kennen. Der Sinn, trotzdem mit Sanskrit umzugehen, liegt in erster Linie darin, dass uns das Studium dazu zwingt, Neuland zu betreten.
Mit den Lerntechniken westlich absolvierter Schul- und Studienzeiten können wir uns der Sanskritsprache nicht nähern. Sanskrit kann weder im besitzergreifenden noch im (hermeneutisch) verstehenden Sinn gelernt werden. Sanskrit erfordert Identifikation, das Einssein mit dem Wort, mit der hinter dem Wort stehenden Idee. Das Mittel solche Identität zu erleben ist der Klang, der Rhythmus des gesprochenen Wortes. Erst wenn das Sprechen – zunächst einzelner Worte – praktiziert wird, können wir mit der Schriftform beginnen. Wir erkennen dann auch, warum Sanskrit über sehr lange Zeit mündlich überliefert wurde.
In der Unterrichtspraxis sieht es so aus, dass ein erwachsener Mensch ohnehin nicht mehr wie in der Schule der Perfektion und der Zensuren willen lernen will. Er lernt wegen der Freiheit seines Tuns und der Freude am Spiel. Das Sanskritstudium ist dazu besonders gut geeignet, es erlaubt uns nicht einmal das Schielen auf einen praktischen Nutzen. Andere Gelegenheiten dieser Art – ausgestattet mit neuer Freude und Freiheit – sind selten, zumal dann, wenn sie – als Sinn – ihre interne Widersprüchlichkeit erahnen lassen.
Einer mit Ahnungen ausgestatteten neuen Wissenserwartung nachzugehen, ist mehr als das Wissen anderer zu übernehmen. Was der Studierende im Yoga und Sanskrit erlebt, ist der Durchbruch eigener Einsicht und Erkenntnis.
Natürlich ist es schwer, sich der Unerbittlichkeit der Ordnungskoordinaten einer Sprache wie Sanskrit zu beugen. Aber es wird leicht, wenn man zugleich freudig erkennt, dass es sich nicht nur um Ordnungslinien der Sprache, sondern parallel, um solche des eigenen Wesens handelt. Es gibt wohl sonst keine Sprache, die diese Eigenart als tiefgreifend heilendes Element aufweisen würde.
Wer Sanskrit lernt, studiert nicht nur die Schönheit und Weisheit einer Sprache, er lernt mit jedem Schritt des Studiums einen weiteren Bereich seiner selbst kennen. Es liegt in der Natur der Selbsterkenntnis, dass ihr Erscheinen ein eigenes Schrittmaß hat.
Das Studium soll begleitet sein vom Umgang mit den Elementen, die diese Sprache entwickelt haben – und die diese Sprache hervorgebracht hat: der Wahrheit, des Friedens und dem Erlebnis von ānanda, dem Erkennen der innewohnenden Freude.