Brahma Muhurta (zu Pisa)
Brahma muhūrta bedeutet: der Tag beginnt mit Yoga. Nicht zufällig oder beiläufig – das wäre nicht Yoga. Ganz bewusst soll der ausklingende Traumzustand (svapna sthānaḥ) in den Übungsweg (sādhana) münden. Die vedische Lehre der Mandukya Upanishad sagt, der Stand des Traumschlafs (taijasa) sei der höhere, abgegrenzt gegenüber vaiśvānara, dem Stand des Wachseins.
Dreiundzwanzig Jahre sind vergangen, seit dieses Thema zuletzt in Schriftform bei uns behandelt worden ist. Der Yoga-Lehrbrief Nr. 41 „Brahma Muhūrta Zwischen-Bericht“ ist im Dezember 1978 erschienen, vorausgegangen war Yoga-Lehrbrief Nr. 20 „Brahma-muhūrta Erste Anweisungen“ vom 24. Januar 1977. In all den Jahren, bis zum heutigen Tag, ging jedoch der Unterricht mit intensiven Hinweisen auf den Sinn der frühen Stunde weiter.
Etwa achttausenddreihundertfünfundneunzig mal hat inzwischen bei manchen Übenden die „Stunde Brahmas“ stattgefunden (2001).
Aktuell geworden ist das Thema durch die Untersuchungen names „Pisa“, einer Studie der OECD, die deutschen Schülern (und Lehrern) nicht gerade ein Lob ausspricht.
Ein Wort dazu erlauben wir uns deshalb, weil in unserer, wie sicher auch in anderen Yoga-Schulen, beide Gruppen – die (von Pisa gemeinten) Schüler und die Lehrer – reichlich vertreten sind. Als Yogalehrer hört und sieht man im Laufe der Jahre nicht nur das Vordergründige der offiziellen Schule und ihres Alltags, der Blick reicht oft viel tiefer.
Schaut man dann noch genauer hin und betrachtet außer der Studie selbst auch die Äußerungen ihrer Kritiker, fühlt man rasch die eigene Betroffenheit und muss dazu Stellung beziehen. Wenn zum Beispiel das „Lernen lernen“ als pädagogischer Ansatz hingestellt wird, handelt es sich nämlich durchaus – auch – um ein Yoga Thema.
Die Yogapraxis stellt uns konsequent bei allen Anlässen, besonders aber bei allen Lernvorgängen, vor die Schlüsselfrage: Woher kommt die Lösung, woher kommt eine Antwort, woher erwarten wir Hilfe?
Yoga lehrt das Stellen der richtigen Frage. Als erste: Kommen die Antworten von außen her oder von innen? Und: wieviel Wissensaufnahme von außen, in der linearen Weitergabe vom Lehrer zum Schüler ist – im Verhältniss zum Erkennen des innewohnenden Wissens überhaupt zumutbar. Wer das Glück hat, sich aus der yogaeigenen Sichtweise mit diesem Thema beschäftigen zu können, wird erkennen, dass es ein natürliches Gleichgewicht zwischen beiden Richtungen und ihren zugehörigen Techniken gibt, und dass dieses eingehalten werden sollte.
Angesichts der Jungendlichen, der Kinder, von denen zum Beispiel berichtet wird, dass sie, ohne es „gelernt“ zu haben, mit moderner Elektronik umgehen, dass sie einen Computer in Minutenschnelle „online“ bringen, kann man das Prinzipielle dieser Entwicklung – besonders in der Schule – nicht unbeachtet lassen. Frustration, Aufmüpfigkeit ist die Folge des herrschenden Lernstils, dessen Maßnahmen übergewichtig in der Übernahme des Wissens anderer liegen. In einer gewissen Weise sind die Kids weiter als ihre Lehrer. Kinder können sich Lösungen auch noch „im Traume“, bzw. intuitiv einfallen lassen und sollten darin geschult werden.
Die Yogalehre vertritt mit Kompetenz die nach innen gehende Richtung der Suche nach der Lösung, der Antwort auf eine sachgemäß gestellte Fage. Und Yoga lehrt, die Frage sachgemäß zu stellen. Zu diesem Anspruch gehören – wie immer im Yoga – die angemessenen Umstände, aus dem Handgelenk gelingt die Umsetzung des Anspruchs nicht.
Ein entscheidend wichtiger Teil der passenden Umstände ist der Faktor Zeit, der richtige Zeitpunkt des Umgangs mit den zugehörigen Übungen. Als passende Übungszeit gilt aber – nicht nur im Idealfall, sondern grundsätzlich – der frühe Morgen.
In der Übungszeit am frühen Morgen wird nicht eine Antwort auf Tagesfragen und -probleme angepeilt, vielmehr wird jenes „Lernen lernen“ gelernt. Dass Lernen lernen im Yoga seinen erprobten, bis in die ältesten Tiefen der Entwicklung des menschlichen Geistes reichenden Stil hat, sollten wir uns heute wieder ins Gedächtnis rufen. Hier ruhen verborgene Schätze. Sie zu heben, kann keine Sache im Zuge der Tagesroutine sein. Respekt vor der „Stunde Brahmas“ wäre ein recht guter Ausgangspunkt.
Yoga Nidrā – Der Heilschlaf der Yogis
Zwei Übungen von jeweils 30 Min