Wirkungen

Das Ausbleiben von Wirkungen beruht auf
einem Mangel an eigenen Erfahrungen

Ich trinke Wasser – mein Durst ist gestillt.
Ich esse Brot- mein Hunger vergeht.
Ich sitze in der Sonne – mein Körper erwärmt sich.
Ich singe ein Lied – mein Herz schwingt mit.
Ich fühle Schmerz- Besorgnis steigt auf.
Ich meditiere – meine Probleme lösen sich.

Im Fahrwasser einer „der Ursache folgt die Wirkung“-Philosophie sind wir an die geradlinige Erfüllung unserer Erwartungen gewöhnt. Nicht irgendwie und irgendwann, sondern in einer in etwa berechenbaren Weise erwarten wir Ergebnisse. Auswirkungen unseres Tuns/Nicht-Tuns werden – nach Art, Zeit und Ort – als bekannt vorausgesetzt. Dieser Stil des Denken beruht auf der Übernahme der Erfahrungen anderer. Er wird das „horizontale Denken“ genannt und überlagert die schon in frühesten Kindheitstagen lebendige eigene Originalität und Phantasie. Länger als zur anfänglichen Orientierung nötig wird dieser Denkstil beibehalten und überträgt schließlich, einzig dastehend, seine Mechanik auch auf andere Anfänge, zum Beispiel im schulischen Lernbereich. Bezogen auf den Durchschnitt der Gesellschaft beherrscht seine Methode, bar jeglicher Alternative, unterschwellig und eher leidvoll die Zusammenhänge unseres Lebens.

Versuche, diesen Denkstil auch im Yoga anzuwenden, schlagen fehl. Zwei Gründe lassen sich dafür nennen:

  1. Auf dem Weg in die Tiefe, der im Yoga vorherrschenden Bewegungsrichtung, gibt es die im horizontal/kausalen Modus übliche Denkstruktur nicht.
  2. Die Wirkungen der Übungen sind individuell und von sehr feinem Charakter.

Der Weg in die Tiefe der Übungen wird auch „der vertikale Weg“ genannt, sein Merkmal ist der Kreisschluss. Bei der horizontalen Bewegungsrichtung wird von Wellen gesprochen. Eine Welle stößt die nächste an und rollt langsam aus. Der geschlossene Kreis verhält sich anders, er ist in sich selbst vollendet.

Vorgegeben für unsere Existenz ist die grundsätzliche Fähigkeit der harmonischen und ausgewogenen Begegnung beider Richtungen (manchmal gekennzeichnet durch das Symbol des Kreuzes). Ebenso vorgegeben ist die Verfügbarkeit über Mittel, bedrohte Harmonie oder verlorenes Gleichgewicht wieder herzustellen. Wenn im Yoga von Übungen gesprochen wird, ist das Sich-Einlassen auf diese Mittel gemeint.

Schon eine überschlägige Prüfung zeigt, dass Gleichgewicht und Harmonie tatsächlich recht fragile und ständig gefährdete Größen sind. Schaut man – mit Übungserfahrung – noch etwas genauer hin, wird eine weitere Gewissheit erkennbar: Probleme des Ungleichgewichts und der Disharmonie lassen sich nicht vor Ort lösen. Die bestehende Betroffenheit macht den Ort des Geschehens unzugänglich. Sei es bei einem Individuum, der Gesellschaft oder, heilkundlich gesehen, bei einem Organ, einer Funktion: Wo sich Verletztheit festgesetzt hat, lässt sich schwer bis gar nicht neue Ordnung einleiten. Schon durch seitliche (laterale) Verschiebung in einen nicht direkt betroffenen Bereich werden, auf dem Wege der „Ansteckung“ gute und rasche Ergebnisse erreicht. Die Steuerung durch vertikal aufsteigende Kräfte – wie sie bei Übungen außerhalb der betroffenen Zone entstehen – ist jedoch der verlässlichste Faktor zur Klärung und Heilung unserer Probleme. Der Volksmund hat nicht unrecht, wenn er von der „Weisheit des Bauches“ spricht – wobei kaum der leibliche Bauch, sondern das Wirkungsfeld des entsprechenden Cakras gemeint ist.

Therapeutisch, naturheilkundlich und yogisch betrachtet sind unspezifische Anwendungen (außer bei Notmaßnahmen) wirksamer als punktuell indizierte Methoden. Das gilt sowohl im engeren Sinn der Heilkunde, wie auch überall dort, wo korrigierende Maßnahmen notwendig oder erwünscht sind.

Wir sagten, die Wirkungen der Übungen sind von sehr feiner Art. Das hat zur Folge, dass, so lange für sie keine passenden Rezeptoren ausgebildet sind, zwar eine Wirkung erfolgen kann, diese aber nicht ins Bewusstsein gelangt, also nicht wahrgenommen wird.

Bewusste Wahrnehmung ist jedoch ausschlaggebend. Ihre Bedeutung beginnt schon auf der gröberen Ebene alltäglicher Vorgänge. Als Beispiel: Die Füllung des Magens mit Speise bewirkt nicht zwingend ein Gefühl der befriedigenden Sättigung (obwohl diese Rezeptoren von Anfang an vorhanden sind). Oder, im feineren Raum subtiler Wirkungen: Beim Genuss einer neuen Tee- oder Weinsorte mag es sein, dass die zuständigen Geschmacksknospen noch nicht ausgebildet sind, also die Wirkung bewusstseinsmäßig nicht ankommen kann.

Eine hochwirksame und ausgereifte Technik, Ursachen und Wirkungen im horizontalen und vertikalen Bereich aufeinander abzustimmen, ist der Yoga. Wohlverstanden: der Yoga. Nicht eine Anwendung, die sich zwar so nennt, aber in das horizontal bestimmte Ermessen umgestaltet und verwendet wird, um berechenbare Ergebnisse zu erzielen.

Prüfstein für die Einhaltung der Yogalehre ist die Öffnung für die Kernfrage ihrer Disziplin: Wer bin ich?

Bleibt die Frage nach seiner Identität bei dem Fragenden aktiv, kann er mit der bloßen Übernahme der Erfahrungen anderer nicht mehr auskommen, er wird eigene Antworten provozieren und erleben müssen.

Ich trinke Wasser. Wer bin ich?

Die dreiundneunzigjährige Yogalehrerin Liesel Goltermann sagt: „Mit dem Yoga verändert man seine Ansichten, man muss nicht mehr so unglücklich sein, wenn irgendetwas geschieht.“