nāma-rūpa

Schon im alltäglichen Leben ist es wichtig, Dinge „auf die Reihe“ zu bringen. Geht es um mehr, ist „Ordnung“ eine wichtige Voraussetzung für Erfolg. Dann handelt es sich auch nicht nur um (selbst) gesetzte, sondern um (natur) gegebene Ordnungen.

An dieser Stelle macht der Yoga kraft seiner viveka-Praxis einen wesentlichen Schritt. Yoga unterscheidet und lehrt den Unterschied zwischen „gesetzten“ und „gegebenen“ Ordnungen. Gesetzt sind beispielsweise die Regeln der Mathematik, die sozialen Begiffe und ihre Handhabung, aber auch die Glieder der Yoga-Sūtras. Die meisten der gesetzten Regeln versperren den Blick auf die gegebenen; nicht so die der Yogalehre, diese fördern den Blick auf ṛtaṃbharā*, auf die Ebene der gegebenen Ordnungen.

Diese Ebene ist übersichtlich und – fast leer. Nur wenige Gesetze, wie das des Kreisschlusses, gelten immer und überall. Zu ihnen zählt nāma-rūpa. Nāma-rūpa heißt: Erst der Name, dann die Gestalt. Oder: Der Herr ruft die Welt (Präsens).

Das Erscheinen der Gestalt, der Idee, ist die Folge des Erklingens des Namens aus der Fülle des Numinosen.

Das ist fremd für unsere westlich geschulten Ohren. Wir gehen – umgekehrt – davon aus, in Erscheinung tretenden Wesen oder Gedanken Namen geben zu müssen – unseren Kindern, allen Lebewesen, den Sternen am Himmel und natürlich jeder Erfindung, allen Fundstücken in der Natur- oder bestehende zu übernehmen.

In der Yogaübungspraxis werden beide Ordnungen – gegebene und gesetzte – aneinander „gejocht“. Jedem Text, jeder Aussage folgt eine diese vervollständigende Übung. Das System „Yogaübungen“ ist verbindendes Glied von gesetzten zu gegebenen Ordnungen und so auch von der Anweisung des äußeren zur Stimme des inneren Lehrers.

Die Einleitung der „vollständigen“ Übung beginnt mit der Praxis von neti neti (na iti, na iti) „nicht dies, nicht das“ (die Worte sind zuerst ein Merkmal des Bewusstseinszustandes „samādhi„, aber als Mantra auch eine Technik für den Weg dorthin).

Als Beispiel einer vollständigen Yogaübung mit dem Charakter von nāma-rūpa gilt das Sprechen der Laute I A O OM.

Der gesetzte, leicht erfassbare Sinn dieser Übung besteht darin, die Laute wohltönend erklingen zu lassen. Hat es dabei ein Bewenden, ist die Übung erfüllt – im „gesetzten“, wie im „gegebenen“ Verständnis der Ordnungen. Die Laute sind verklungen. Neti neti, nichts, keine Bewertung, keine Beurteilung, kein Reflektieren bleibt übrig

Dann ist das Erlebnis von „Nichts“ die Quelle der Namen – und durch Namen – der Gestalten. „Nichts“ (śūnya– als Seinszustand – gehört zu unseren uranfänglichen, aber oft noch nicht bewusst gewordenen Wesensmerkmalen. Yoga lehrt die Technik des Weges von unbewusst wirkenden zu bewusst werdenden Ordnungen.

Eine andere Übung ist das Sprechen des Saṃkalpas. Ein Saṃkalpa ist der in der Übungssituation gesprochene Name: der durch Wiederholung sich selbst verwirklichende Entschluss.