Formulierungen und Begriffe

Frage: Sie haben im Unterricht und in Ihren letzten Veröffentlichungen* einige Formulierungen gebraucht, die für die Betrachtungsweise unserer Schule entweder neu sind oder erweitert erscheinen. Ich weiß, sie sind, wie alle Begriffe, Gegenstand eigener Erfahrung der Übenden und eigentlich nur aus diesem Grund überhaupt vorhanden. Gerade deshalb möchte ich fragen, ob ich richtig zugehört habe.
Antwort: Den wahrscheinlich wichtigsten Begriff, der bei uns an Bedeutung gewonnen hat, haben Sie bereits genannt: die eigene Erfahrung, besser, die eigene Deutungshoheit. Sowohl die Schule als soziale Gruppierung wie auch die einzelnen Übenden brauchen beides: Auf der einen Seite die Kenntnis der umgangssprachlichen populärwissenschaftlichen wissenschaftlichen Bedeutung eines Begriffes und auf der anderen Seite die eigene Erfahrung im Umgang mit demselben Begriff. Der erste Teil wird durch große Angebotsvielfalt, Schule, Studium, Literatur, Lexika usw., hinreichend abgedeckt. Für den zweiten Teil, der nur mit persönlichem Engagement erreichbar ist, gibt es kaum seriöse, zuverlässige, auf mitbestimmende Einwirkung verzichtende Hilfen. Als Beispiel dient am besten das Wort „Wissen“. Das Wort hat je nach Betrachtungsweise sehr verschiedene Bedeutungen. Wir sollten diese – westlich geprägten – Bedeutungen kennen und respektieren. Kennen sollten wir aber auch, was a) die Yogalehre zu „Wissen“ (vidyā/prañā) sagt und b) was wir selbst als Wissen erfahren haben (pratyakṣa). Wenn wir diese gestaffelte Betrachtung anstellen, erleben wir das Entscheidende: Den Grad der Wirksamkeit der verschiedenen Formen des Wissens auf die eigene Existenz. Fehlt das letzte Glied, die eigene Erfahrung mit dem Sinn für die eigene Deutungshoheit, dann fehlt das wichtigste Element. Die Aufmerksamkeit für diesen Sinn zu schärfen ist unsere Aufgabe im Yoga.

F: Sie haben der Übung lauliki yoga (Bauchquirlen) eine besondere Bedeutung zugemessen. Gibt es da noch weitere Anweisungen?
A: Nein. Es ist besser, einfach die Technik der Übung zu lernen und sie zu praktizieren. Jemand, der die Übung gar nicht verstanden hat, könnte fragen: Lauliki, wieso, mein Bauch ist doch in Ordnung.

F: Sie sprachen über viplavā (Yoga-Sütra II,26) und setzten das „Streunen“, eine vielleicht etwas harte Übersetzung, an den Gegenpol einer Tabelle, die Sie mit ṛtambhara (YS I,48) an erster Stelle, eingeleitet haben. Stimmt es, der Umgang mit ṛtambhara ist die am meisten und viplavā die am wenigsten wünschenswerte Entwicklung auf dem Yogaweg?
A: Vereinfacht gesagt: So ist es. Ein Wort zur „Härte“: Sie ist berechtigt, aber, bei ihrem Fehlen, niemals ein Grund zur Beschimpfung. Oft müssen wir etwas sehr deutlich sagen, damit es wenigstens akustisch gehört wird. Mir wurde zum Beispiel die Frage gestellt, was das O bei der Rezitation von IAO OM bewirkt. Die Antwort war einfach, es bewirkt O. Alles andere ist Abweichung oder eben Streunen, suchen nach etwas völlig anderem als dem was jetzt – das O – ist.

F: Es passt vielleicht zum Thema. Im Text von atha – iti steht ein Satz, zu dem ich noch eine Frage habe. Er lautet: „Das Wort avidyā wirkt an seinem Platz (II,3) „Wunder“. Bitte, was ist im Yoga ein Wunder?
A: Das klingt jetzt sehr spröde. Die sich unvermeidlich erneuernde „autonome Regeneration“ auf allen Gebieten ist ein Wunder. Wir dürfen uns über ein Wunder freuen (vidyā), erkunden (avidyā) können wir es nicht. Das Sütra nimmt uns die Illusion: „wir“ könnten.