ardha mauna

ardha    (Halb)
Als „halb“ bezeichnete Übungen gibt es in zwei Formen:

  • die absichtlich nur halb ausgeschöpfte Körperform,
  • die der imaginativen Ergänzung eines körperlich nur halb ausführbaren Übungsbildes.

Der halbe Drehsitz (ardha matsyendrāsana) und die Halbmondhaltung (ardha candrāsana) sind Beispiele für die beiden möglichen halben Formen. Ardha matsyendrāsana schöpft die Positionierung des Körpers (gegenüber der vollen Übung matsyendrāsana) nicht aus. Ardha candrāsana überschreitet imaginativ den vom Körper dargestellten Halbmond zum ganzen Rund des Mondes.

mauna    (Stille, Schweigen)

  • Völlige Stille gibt es nirgendwo.
  • Schweigen ist eine Disziplin.

Disziplin besteht aus Anweisung und Befolgung.
Im Yoga erkennen wir zwei Ebenen für die jeweilige Einheit von Anweisung und Befolgung: die vorbereitende des äußeren und die bestimmende des inneren Lehrers.

ardha mauna    (Bedingtes Schweigen)

  • Zum Übungsstil passender Wechsel zwischen Rede und Stille.
  • Die Sprache selbst besteht aus dem Fluss/Nichtfluss der Töne.

Der Übende befolgt die Anweisungen des Lehrers, zum Beispiel bei der Ansage der Übungen oder der Rezitation der Texte. Schon dabei tritt mauna deutlich in Erscheinung: Körperhaltungen werden im Rhythmus von Bewegung und Pause (mauna) angesagt; ebenso die Texte, besonders solche in Sanskrit. Durch Disziplin auf dieser Ebene ergibt sich – als Sog- der Übergang in die nächste von selbst, vergleichbar dem Übergang vom äußeren zum inneren Lehrer. Dem folgt, ebenfalls ohne weiteres Zutun, der bewusste Stand im höchsten Rhythmus ṛtambharā (Yoga-Sūtra I/48).

Mit viveka, seinem Hauptinstrument, unterscheidet der Yogi den Teil eines Ganzen, der von ihm persönlich getan werden kann, von dem anderen, größeren, der nicht in seiner Hand liegt. Konsequent geübte „halbe Einheiten“ haben Sinn und führen zur Vollendung durch die andere „Hand“.

Für uns ist Yoga anders als für einen Yogi in Indien.
Wir leben in einer anderen Kultur und einem anderen wirtschaftlichen Umfeld. Unsere Kultur – mit ihrer Ausdrucksweise und ihren Wirkungsbereichen – ist stark, sie lässt fremde Einflüsse nicht oder nur sehr zögerlich zu. Dabei liegt es nicht an den Taten, sondern an den Worten und Begriffen, dass hier der klassische Yoga nicht praktiziert werden kann.

Die Brücke über den Fluss in der Ladschaft wird überall mit Berechnungen und Baustoffen gebaut; das Fließen in die Tiefe des eigenen Wesens jedoch ist überall anders – nicht bei der notwendigen Stille, aber bei den hinführenden Worten und Begriffen.

Unser Yoga sagt: Tue alles, was du tun kannst, bemühe dich, ja, erschöpfe dich, aber verwechsle, dein persönliches „Alles“ nicht mit dem „Ganzen“ des Herrn: Dein Teil ist höchstens ardha, die Hälfte, 49:51.

* Es ist wesentlich realistischer, sich auf halbes Schweigen (ardha mauna) zu programmieren, als zu meinen, man könne ganz und gar ohne Fragen und Antworten leben.

* Es ist besser, ein halbes Stück Schokolade zu essen, um den Serotoninfluss in Gang zu setzen, als ganz auf diese Hilfe zu verzichten.

Yogis üben keine „halben Sachen“, aber sie lernen ihren Anteil darauf zu begrenzen, was ihn ausmacht. Der Verzicht auf die volle Ausführung lässt sie das Prinzip der Hälfte und die Fülle des Herrn erleben.